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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 29.04.2011


Geliebtes Leben. LIFE, ABOVE ALL
Yasmine Georges

Eine Frau singt ein Wiegenlied. Ein Mädchen sucht einen Sarg aus. Drumherum das alltägliche Leben im Township. Oliver Schmitz neuer Film über Aids und andere Tabus in Südafrika geht unter die Haut.




Die zwölfjährige Chanda (Khomotso Manyaka) wächst in der südafrikanischen Provinz auf. Als Klassenbeste und Mutters Liebling führt sie ein behütetes Leben. Doch eines Tages bricht die heile Welt zusammen. Die einjährige Halbschwester Sarah stirbt, das ist der Anfang vom Ende. Zuerst ist das Tuscheln hinter vorgehaltenen Händen versteckt, doch dann spricht es der Stiefvater Jonah (Aubrey Poolo) laut aus: "Du hast unser Baby vergiftet!", schreit er die Mutter Lilian (Lerato Mvelase) an. Chanda ist fassungslos. Doch noch bleibt alles unter einem schwarzen Lügenmantel verborgen. Es ist nur eine Ahnung, nicht mehr, die das Herz des Mädchens verdunkelt.

Nach dem Tod der Schwester fängt die Mutter an zu kränkeln, der Stiefvater verschwindet und Chanda verliert auch noch Esther (Keaobaka Makanyane), ihre beste Freundin. Über die wird schon lange im Dorf gemunkelt. Weil sie eine Waise und, so wird vermutet, eine Prostituierte ist. Mrs.Tafa (Harriet Manamela), die fürsorgliche Nachbarin bläut Chanda ein, dass dies kein Umgang für sie sei. Und schließlich ergeben sich beide Freundinnen unter dem zunehmenden Druck. Chanda wendet sich ab und Esther entscheidet sich für die Prostitution.

Tuscheleien, Verleumdungen, Lügen, das sind die Hauptakteure in Oliver Schmitz´ Portrait eines lebensdurstigen Mädchens. Und auch Aids, das große Tabu in der südafrikanischen Provinz, spielt eine tragende Rolle. Die Krankheit, die alles vergiftet, die FreundInnen und Familien entzweit und jede Menschlichkeit auslöscht. Eindrucksvoll sind die Szenen, die den Umgang mit der Krankheit zeigen und zugleich erschütternd. Die gutherzigen Nachbarn werden zur hasserfüllten Inquisition. Mit Steinen werfen sie nach dem infizierten Stiefvater, später schickt Mrs.Tafa Chandas kranke Mutter weg. Man fühlt sich in das Mittelalter zurückversetzt, als die Pest wütete. Die Kranken sind gebrandmarkt, sie verdienen kein Mitleid.

Chanda lässt sich jedoch nicht beirren. Sie spricht offen aus, was andere hinter verschlossenen Türen flüstern. "Du solltest dich testen lassen.", sagt sie zur Mutter und geht zum Krankenhaus. An diesem trostlosen Ort findet sie eine Vertraute. Es ist die Krankenschwester, die nicht helfen kann, aber Chanda eine tröstende Hand reicht und Verständnis zeigt. Die Einzige, die den Menschen hinter der Krankheit zu sehen scheint. Gekonnt fängt Oliver Schmitz jene kurzen warmherzigen Momente ein, in denen Menschlichkeit und Güte keine Fremdwörter mehr sind.

Auch Chandas Kampf ums Überleben steht im Mittelpunkt von "Geliebtes Leben". Der Film zeigt auf verstörende Weise, wie kostbar das Leben ist und dass es sich lohnt, darum zu kämpfen. Chanda ist der Motor, der alle vorantreibt. Sie bleibt nicht im Sumpf aus Lügen stecken und wahrt nicht den Schein. Stattdessen folgt das Mädchen der verstoßenen Mutter und bringt sie zurück in ihr Heimatdorf, entgegen aller Vorurteile. Leben, so heißt auch hier das große Ziel, auf das sie hinarbeitet. Auf ihrem Weg rettet sie nicht nur sich selbst, sondern auch Esther und die kleinen Geschwister.

Nur ein einziges Mal darf Chanda einfach nur jung sein. Auf dem Dorffest sieht man sie tanzend und lachend und für einen kurzen Augenblick sind alle Sorgen vergessen. Woher das junge Mädchen die Kraft nimmt die überwindbare Mauer aus Angst zu Fall zu bringen, fragt man sich, wenn man sie Mal um Mal dabei beobachtet wie sie sich für die anderen aufopfert.

Für ihre herausragende Darstellung wurde Khomotso Manyaka auf dem "Durban International Filmfestival" als "Beste Hauptdarstellerin" ausgezeichnet., das Drama gewann auch die Kategorie "Bester Film". "Geliebtes Leben" wurde weiterhin mit dem "Prix François Chalais" auf dem "Festival de Cannes" ausgezeichnet, und ist nun in der Vorauswahl für den Oscar "Bester fremdsprachiger Film" angelangt.

Detailreich skizziert werden im Film jedoch alle ProtagonistInnen. Während die Dorfbewohnerschaft als einheitliches Individuum agiert, treten einzelne Personen in den Vordergrund. Anfangs erscheint die Konstellation zu vorhersehbar, denn die Einteilung in Gut und Böse ist schnell vollzogen und die Charaktere wirken wie eingezwängt in Rollenklischees. Das steife Spiel entwickelt sich aber im Laufe des Films dank der Eindringlichkeit der Darstellung und dem Wandel der Figuren. Keiner ist und bleibt nur schlecht oder gut.

Auch die kleine Chanda macht Fehler, etwa dann, als sie die ungehorsame Schwester in den Schmutz stößt. Am Ende lässt sich sogar die unnachgiebige Mrs.Tafa erweichen und hält zur kranken Freundin. Die DorfbewohnerInnen tun es ihr gleich und bitten um Vergebung. Hier kommt der spärlich gesäte Gesang des Chors zum Einsatz. Am Anfang des Films als Trauermarsch zur Beerdigung, ist er am Schluss eine Entschuldigung für begangene Missetaten. Eindringlich und aufrichtig. Musik wird sonst kaum verwendet. Die meisten Bilder sprechen für sich oder werden von Straßenlärm und lauten Stimmen begleitet. Kleine Geräusche wie das Platschen von Sandalen im Schlamm und das Zerbrechen von Glas sind Details, die diesen Film zu etwas Besonderem machen.

Zum Regisseur: Oliver Schmitz ist gebürtiger Südafrikaner. Seinen ersten Film "Mapantsula", ein Kriminalfilm, schloss er 1988 ab. Neben der Arbeit an Serien wie "Türkisch für Anfänger" und "Doctor´s Diary", dreht er weiterhin Spielfilme, darunter "Paris, je t´aime" von 2006.

Awards

Ende Februar 2011 wurde Geliebtes Leben bei den South African Film and Television Awards (SAFTAs) mit folgenden Awards ausgezeichnet:
Bester Film, Beste Hauptdarstellerin Khomotso Manyaka, Beste Nebendarstellerin Harriet Manamela, Bester Ensemble Cast und Bestes Kostüm. Bestes Drehbuch und die Beste Regie für Oliver Schmitz.

AVIVA-Tipp:. Oliver Schmitz hat mit seinem Film eine Ode an Liebe, Freundschaft und das Leben selbst geschaffen. Diese bewegende Geschichte über kleine Wunder und große Veränderungen ist unbedingt sehenswert.

Geliebtes Leben
LIFE, ABOVE ALL
Deutschland/Südafrika 2010
Buch: Dennis Foon, Oliver Schmitz
Regie: Oliver Schmitz
DarstellerInnen: Khomotso Manyaka, Lerato Mvelase, Harriet Manamela u.a.
Verleih: Dreamer Joint Venture Filmproduktion GmbH
in Co-Produktion mit Senator Film Produktion GmbH, Enigma Pictures Ltd. und Niama-Film GmbH
Lauflänge: 105 Minuten
Kinostart: 12. Mai 2011
FSK: freigegeben ab 12 Jahren

Weitere Informationen zum Film finden Sie unter:

www.geliebtesleben.senator.de

Weitersehen auf AVIVA-Berlin:

Paris, je t´aime, Ein Film von Oliver Schmitz

Mo Asumang - Road to Rainbow - Willkommen in Südafrika, AVIVA-Berlin traf Mo Asumang zum Interview


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Beitrag vom 29.04.2011

AVIVA-Redaktion